Diese Woche erschien in der NZZ ein Meinungsbeitrag von Patrick Weber und mir, in dem wir uns mit dem neuen “Anti-Coercion Instrument” der EU (kurz: ACI) beschäftigen.
In unserem Kommentar arbeiten wir drei Schwächen des ACI heraus und drücken unsere Hoffnung aus, dass bis zur endgültigen Verabschiedung noch die notwendigen Verbesserungen erfolgen.
Die Kürze des Meinungsbeitrags hat zur Folge, dass einiges Vorwissen auf Seite des Lesers angenommen wird. Deshalb will ich im heutigen Post einige Hintergrundinformationen liefern, die hoffentlich die Einordnung unseres Kommentars erleichtern.
Warum überhaupt Anti-Coercion?
Die Idee hinter dem Anti-Coercion Instrument ist der Wunsch Brüssels nach mehr strategischer Autonomie an der Schnittstelle zwischen Handels- und Außenpolitik.
Die Europäische Kommission will sich mit diesem Instrument eine robuste Handhabe schaffen, um in der Zukunft gegen ökonomische Erpressung von außen (sprich: vor allem aus China, Russland, und den USA) gewappnet zu sein.
In der Vergangenheit haben zum Beispiel die USA ihre ökonomischen Muskeln spielen lassen um Europäische Unternehmen am Handel mit dem Iran zu hindern. Ab 2018 riskierten Europäische Unternehmen, die im Iran aktiv waren, den Ausschluss aus amerikanischen Märkten. Firmen waren also vor die Wahl gestellt, Geschäftsbeziehungen entweder mit amerikanischen oder mit iranischen Unternehmen zu führen. Durch diese, sogenannte “sekundäre”, Sanktionen sollten die wirtschaftlichen Beziehungen zwischen der EU und dem Iran eingedämmt werden. Im strategischen Kalkül der damaligen Trump Administration sollte dies dazu dienen, den wirtschaftlichen Druck auf den Iran zu erhöhen, was dann wiederum Teheran an den Verhandlungstisch zwingen würde.
Wenig überraschend war man in Europa von dieser Politik wenig begeistert. Als Reaktion entschied sich die EU zu einer Reform des sogenannten “Blocking Statute”, dass es europäischen Unternehmen untersagte, sich an diese sekundären Sanktionen zu halten.
Ein aktuelleres Beispiel für ökonomische Erpressung von Außen bieten die Maßnahmen Chinas gegen Litauen. Die Repräsentation Taiwans in Litauen war zu viel für die Chinesische Regierung, die daraufhin Importe aus dem baltischen Staat untersagte, also im Grunde eine Handelssanktion in Kraft setzte.
Sowohl die Maßnahmen Chinas als auch die sekundären Sanktionen der USA gaben und geben Anlass, sich in Brüssel intensiv mit möglichen Gegenmaßnahmen zu beschäftigen. Der Entwurf der Kommission, der im Dezember 2021 vorgelegt wurde, hat also das Ziel solchen oder ähnlichen Versuchen der ökonomischen Erpressung entgegenzuwirken.
Der Entwurf
Was schlägt die Kommission denn nun konkret vor?
Zu allererst sieht das ACI einen geordnete Prozess vor, wie die Kommission auf ökonomische Erpressung, seien es Sanktionen, politisch motivierte Zölle, oder vorgeschobene Hygienestandards, reagieren will. Besteht also der Verdacht, dass ein nicht-EU Land eine Wirtschaftssanktion zur Erpressung der EU oder eines Mitgliedsstaats implementiert hat, geschieht unter dem ACI folgendes:
Der ACI Prozess sieht zu erste eine Evaluation vor, in der die Kommission feststellt, ob “economic coercion” (ökonomische Erpressung) vorliegt.
Danach folgt, falls ein Fall ökonomischer Erpressung vorliegt, Dialog mit dem erpressenden Staat. Dieser kann bilateral oder zum Beispiel mit einem Drittstaat oder der WTO als Mediator stattfinden.
Falls diese Gespräche fruchtlos verlaufen behält sich die Komission vor, Gegenmaßnahmen zu ergreifen. Ein Beispiel hierfür wären Gegensanktionen.
Der Entwurf sieht außerdem eine permanente Evaluation der Maßnahmen und möglicher Gegenmaßnahmen vor.
Interessant wird es im ersten Punkt - welche Definition für economic coercion legt der Entwurf fest? Aus Artikel 2:
[Where a third country] interferes in the legitimate sovereign choices of the Union or a Member State by seeking to prevent or obtain the cessation, modification or adoption of a particular act by the Union or a Member State […]
[…] by applying or threatening to apply measures affecting trade or investment.
Hier geht es also explizit nur um solche Maßnahmen welche EU Institutionen oder Mitgliedsstaaten betreffen. Dies ist einer der Punkte, die unser Kommentar kritisiert (siehe unten).
Außenpolitik, Handelspolitik, oder beides?
Die vielleicht klarste Folge des vorgelegten Entwurfs ist die Verschiebung von außenpolitischer Kompetenz, weg von den Mitgliedsstaaten und hin zur Europäischen Kommission.
Eigentlich ist die Aufteilung klar: Handelspolitik fällt in den Aufgabenbereich der Kommission, Außenpolitik wird im Rahmen der GASP (Gemeinsame Außen- und Sicherheitspolitik) von den Mitgliedsstaaten betrieben. Konkret ist so zum Beispiel der Europäische Rat für die Verhängung von Sanktionen zuständig (die Implementation obliegt dann wiederum der Kommission).
Nun betrachtet sich das ACI im neuen Entwurf als Handelspolitische Maßnahme, sprich die Entscheidung über, und Implementation von, z.B. Gegensanktionen obliegt alleinig der Europäischen Kommission. Dies mag unter anderem erklären warum so manches EU Mitglied dem Vorschlag seit Veröffentlichung kritisch gegenüber steht:
Sweden and the Czech Republic were among those voicing their fear in the lead-up to the proposal, asking for more input from EU countries. Those two countries will be at the helm of the Council of the EU after the French mandate during the first half of next year, so one of them will likely lead the negotiations on the file between the European institutions at the end of next year or in 2023.
Chances are high that some capitals will then try to water down the instrument or at least get more involved.
Unsere Kritik
In unserem oben erwähnten Kommentar formulieren wir basierend auf diesem Entwurf des ACI drei Kritikpunkte:
Zu hohe Flexibilität
Kein ausreichender Schutz privater Unternehmen
Extraterritoriale Sanktionen werden vernachlässigt
Im Detail können diese in der NZZ nachgelesen werden.